Die Serie: Megatrends der Wirtschaftsinformatik
+ 4 Megatrends der Wirtschaftsinformatik
Die Artikelserie „4 Megatrends der Wirtschaftsinformatik“ beleuchtet, wie sich bestimmte Entwicklungen der Wirtschaftsinformatik künftig auswirken können. Zudem wird ein spezieller Bezug zur künstlichen Intelligenz (KI) hergestellt, die bereits viele Aspekte unseres Lebens betrifft.
Wir begeben uns auf eine Reise in die 1960er-Jahre, dem Aufblühen der Automatisierung, machen einen Zwischenhalt bei der Assistenz durch Maschinen, setzen unsere Reise fort zu der Entwicklung künstlicher Intelligenz und werfen einen Blick darauf, wohin die Reise in Bezug auf Cyborgs in der Zukunft gehen kann. Ganz konkrete Praxisbeispiele für den Marketingbereich zeigen, wie die Megatrends bereits heute die digitale Kommunikation beeinflussen.
+ Was ist ein Megatrend?
Ein Megatrend kann beschrieben werden als eine Lawine in Zeitlupe. Die Auswirkungen sind ubiquitär, haben also Implikationen in allen Lebensbereichen – und das meistens auf globaler Ebene. Wirtschaft, globaler Handel, Bildung, Medizin, doch auch der private Bereich sind hiervon betroffen und können sich der Veränderung nicht erwehren. Kaum eine Person kann sich einem Megatrend verschließen oder wird nicht davon – egal ob direkt oder indirekt – erfasst.
Teil 3 – Megatrend KI (Künstliche Intelligenz)
Wenn wir über künstliche Intelligenz (KI) und intelligente Maschinen sprechen, dann ist zunächst eine Definition wichtig: was ist denn intelligent? Ist Intelligenz das, was bei einem IQ-Test herauskommt?
Landläufig denken Menschen bei KI sofort an eine sog. starke Intelligenz. Das Ziel einer starken künstlichen Intelligenz[1] ist es, die gleichen intellektuellen Fertigkeiten von Menschen zu erlangen oder diese zu übertreffen. Von einer solchen starken Intelligenz kann man bei den derzeitigen Entwicklungen bei weitem noch nicht sprechen.
Definition von künstlicher Intelligenz
Eine perfekte Definition von KI liegt noch nicht vor. Jeder KI–Forscher und jede Arbeitsgruppe in diesem Bereich hat vermutlich eine eigene Definition. Daher soll folgend ein gemeinsamer Nenner genannt sein, in welchem die meisten Definitionsversuche übereinstimmen: KI bedeutet die Verschmelzung von technischen Systemen und IT-Systemen. Künstliche Intelligenz beschreibt somit abstrakt
- den Einsatz und die Analyse der Anwendung menschlicher Sinne (Lesen und Schreiben, Sehen, Fühlen, Hören, Sprechen),
- sowie menschliches Verstehen, Lernen, Adaptieren und Schlussfolgern,
- mit nicht-menschlichen Mitteln, z.B. einem Computer.
- Werden diese Verfahren von Menschen ausgeübt, werden sie allgemein als „intelligent“ bezeichnet.
Künstliche Intelligenz im alltäglichen Raum: (teil)-autonomes Fahren
Greifbarer wird die künstliche Intelligenz anhand eines Beispiels aus dem Bereich Automotive. Für das autonome Fahren von PKWs[2] existieren fünf Kategorien:
- Assistiertes Fahren
- Teilautomatisiertes Fahren
- Hochautomatisiertes Fahren
- Vollautomatisiertes Fahren
- Autonomes Fahren
Der Hersteller Audi stellte im August 2017 auf der IAA mit der vierten Generation des Audi A8 das erste Serienfahrzeug mit Funktionen der Automatisierungsstufe 3 vor. Zahlreiche namhafte Unternehmen (wie auch Startups) beschäftigen sich derzeit damit, die höheren Autonomiestufen zu erforschen.
Entwicklung im Bereich der Mobilität: Flugtaxis
Eine Anwendung der künstlichen Intelligenz, die uns in den nächsten 5-10 Jahren im öffentlichen Raum begegnen kann, sind Flugtaxis. Angela Merkel hat für den möglichen Bau einer dritten Startbahn am Münchner Flughafen bereits festgelegt[3], dass hier zwingend Landeplätze für Flugtaxis eingeplant werden müssen. Damit ein autonomer Betrieb von Flugtaxis gewährleistet werden kann, braucht es Aspekte aus BWL und IT. Dies ist passenderweise ein Forschungsgebiet der Wirtschaftsinformatik.
Wie wird eine Flugtaxi-Buchung ablaufen?
Für eine Flugtaxi–Buchung benötigt man eine Plattform mit Mobile App zur Buchung, eine gewisse Bandbreite an Zahlungsarten, ein Abrechnungssystem, eine ordentliche Quittung und Rechnung für den Passagier, sowie die betriebswirtschaftlich korrekte Belegbuchhaltung für das anbietende Unternehmen.
Die Buchung – ein Gedankenexperiment
Als Gedankenexperiment stellen Sie sich doch bitte einmal vor, dass Sie morgen Abend um 21:00 Uhr in der Stadt sein wollen. Das System kennt alle Fahrzeuge und deren Position via GPS-Tracking. Mittels TMS (Traffic Management System) hat das System Informationen über Zustand, Auslastung, Treibstoff und Verkehrsfluss zu allen vorhandenen Fahrzeugen der Flotte.
Das System ermittelt anhand dieser Daten, welches Fahrzeug zur gewünschten Uhrzeit nahe an Ihrem Standort steht. Es kann somit Ihren Transport am sinnvollsten in die eigene Routenplanung einfügen. Dieses Flugtaxi wird dann zu Ihnen geleitet. Öffnen und Starten des Flugtaxis können nur nach erfolgreicher Buchung mit aktivem Zahlungsmittel erfolgen. Das kennen wir bereits aus dem Carsharing – nur dass es statt dem Auto eine Art selbstfliegende Passagierdrohne ist.
Darüber hinaus sind fließende Übergaben des Flugtaxis (Passagier B übernimmt das Flugtaxi direkt nach der Landung von Passagier A für seinen eigenen Transfer) oder gemeinsame Transfers mit anderen Fluggästen auf ähnlichen Routen theoretisch denkbar. Die technische Seite zur Verwaltung und Abwicklung kann somit als gelöstes Problem betrachtet werden. Derartige Entwicklungen können in den Bereich der Smart Mobility[4] kategorisiert werden.
Handlungsfelder auf dem Weg zur Smart City
Entwickelt man den infrastrukturellen Gedanken fort, ist nicht nur der Aspekt Mobilität ein Thema. Auch Handlungsfelder wie Energie und Umwelt, technische Infrastrukturen, Information und Kommunikation, Bildung, Soziales und Kultur, Wirtschaft und Finanzen, die städtebauliche Struktur, die städtische Gesellschaft und Governance sind Themen, bei denen eine KI eingesetzt werden kann. Zur technischen Infrastruktur zählt beispielsweise das Smart Grid, also ein intelligentes Stromnetz.
Diese Entwicklungen sind zukunftsweisend, gehören aber unbedingt in einen sinnvollen rechtlichen und ethischen Rahmen eingebettet[5]. All diese Handlungsfelder gemeinsam summieren sich zum Gesamtaspekt von Smart Cities.
Haftung bei Unfällen von autonomen Fahrzeugen
Spannend ist bei allen Entwicklungen, dass für autonome Fahrzeuge viele Rahmenbedingungen in Recht und Versicherung noch gar nicht geklärt sind. Wer haftet, wenn ein autonom fahrendes Kraftfahrzeug einen Personenschaden verursacht: Der Hersteller, ein Passagier im Fahrzeug oder der Halter des Fahrzeugs?
Wir kennen unbemannte Drohnen aus dem militärischen Sektor. Was ist, wenn ein Fahrzeugbesitzer sein vollständig autonomes Fahrzeug aus der heimischen Garage zum Arbeitsplatz beordert, um sich abholen zu lassen – und genau auf dieser voll-autonomen Fahrt[6] der PKW dann einen Unfall verursacht? Uns fehlen hierfür die zwingend notwendigen Rahmenbedingungen.
Forschung zu künstlicher Intelligenz funktioniert nicht ohne Ethik
Einen extrem wichtigen Beitrag zur Entwicklung solcher Rahmenbedingungen leistet hierbei die Plattform Moral Machine[7]: in einem bildgesteuerten Fragebogen werden Sie als Befragter mit verschiedenen moralischen Dilemmata konfrontiert.
Der Befragte muss in einem Unglücksszenario, also einer Verkehrssituation, in der es auf jeden Fall zu einem Todesfall kommen wird, entscheiden, wer lebt und wer stirbt. Wer hat es verdient zu überleben? Die Schwangere, welche die Straße trotz roter Fußgängerampel überquert? Oder der Obdachlose, der regelkonform über den Zebrastreifen geht? Welche von beiden Personen darf überleben? Wer hat den größeren Einfluss auf die Gesellschaft als Ganzes?
Es gibt auch Situationen, in denen man zwischen einem alten und einem jungen Menschen entscheiden muss.
Dies führt uns schnell an moralische Grenzbereiche. Die „Moral Machine“ zeigt uns damit eindeutig auf, dass wir bei der Erforschung der künstlichen Intelligenz nicht darum herumkommen, uns auch mit der Ethik zu beschäftigen. Wir können nicht KI erforschen, ohne zugleich Regeln in Form eines ethischen Kodex aufzustellen. [8]
Da es sich in diesem Bereich um aktive Forschung handelt, möchte der Autor nicht vermissen, jeden geneigten Leser freundlich dazu einzuladen, an der Umfrage auf der Plattform Moral Machine (Link zu Moral Machine: https://www.moralmachine.net/hl/de) teilzunehmen.
Forschung zur KI am Beispiel NLP
Im Bereich der künstlichen Intelligenz sind weitere IT-Systeme dringend erforderlich und erwünscht. Die Forschung benötigt weitere Mittel, um die derzeitigen Technologien, beispielsweise zur Verknüpfung menschlicher Kommunikation mit IT-Systemen, zu verbessern. Gerade die Handlungsfelder des Natural Language Processing (NLP) bzw. Natural Language Generation (NLG) haben extremes Potential und Bedarf an weiterer Forschung. NLP stellt hierbei eine Brückentechnologie dar, die Marvin Minsky in den 1950er-Jahren zugeschrieben wird, basierend auf der Vorarbeit von Alan Turing aus den 1940er-Jahren.
NLP und NLG meinen entweder das Verarbeiten von natürlicher Sprache mittels IT-Systemen (NLP) oder eine Texterstellung, der es über IT-Systeme (NLG) gelingt, die Wirkung natürlich geschriebener Texte zu erzeugen. Diese Technologien sind relevant, damit ein digitales System (z.B. ein Smartphone oder ein Home-Assistant) eine gesprochene Suchanfrage in eine Text-Anweisung übersetzen und in Folge auch verarbeiten kann[9].
Digitale Systeme können ganz grundsätzlich nur geschriebenen Text und nicht akustische Signale verarbeiten. NLP und NLG müssen sich fortentwickeln, denn IT-Systeme sind derzeit noch schlecht darin, Kommunikationsstile wie Ironie und Sarkasmus, oder auch einfach Humor zu erkennen.
Auch falsch geschriebene Wörter oder spezielle Sprach-Varianten, die Menschen in sozialen Medien verwenden, um z.B. das Zeichenlimit beim Kurznachrichtendienst Twitter einzuhalten, benötigen spezifische Wörterbücher, um den Sinn dahinter optimal entschlüsseln zu können.
Wenn Systeme mithilfe von NLG Notsituationen analysieren
Des Weiteren können Entwicklungen in diesem Bereich auch zur Analyse von Notsituationen verwendet werden. Menschen fallen in Extremsituationen wie Unfall, Brand, Erdbeben, Flut oder Amoklauf in eine Notfall-Kommunikation. Eine Spezial-Grammatik wird benötigt, um solche Situationen maschinell zu erkennen und ggfs. automatisiert Alarme auszulösen und Hilfe noch früher entsenden zu können.
Je besser die Methoden der NLG werden, desto natürlicher wirken maschinell erstellte Texte. Es gibt sogar ein Buch, welches von einer künstlichen Intelligenz geschrieben wurde und bei Springer Nature veröffentlicht wurde: Es handelt von Lithium-Ionen-Batterien[10] und stellt eine maschinengenerierte Übersicht des aktuellen Forschungsstandes zu eben genannten Batterien dar.
Die Schattenseiten
Doch es gibt auch Schattenseiten. Kritisch darf dies betrachtet werden, da auf diesem Wege auch Fake-News erstellt werden können, welche zunächst plausibel erscheinen. Da heutzutage viele Medien durch automatisierte Recherchen unterstützt werden, können Falschmeldungen auch schnell in vertrauensvolle Quellen kommen und hierüber eine weite Verbreitung erfahren. Der menschliche und ausgebildete Redakteur ist daher laut Meinung des Verfassers in keinem Fall in naher Zukunft zu ersetzen.
Abschließend sei hierzu erwähnt, dass in der Bevölkerung eine viel größere Wahrnehmung und Kenntnis des derzeitigen Forschungsstands als auch zu den möglichen Fortentwicklungen notwendig ist. Nur dann ist eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung überhaupt möglich. Um folgende Generationen mit ausreichendem Rüstzeug zu den Technologien auf den Arbeitsmarkt auszustatten, sollte dies bereits im Rahmen der mittelschulischen Bildung Einzug ins Bildungssystem finden.
Mensch und Maschine – das kommt in Teil 4
Diese tiefergehende Beleuchtung der künstlichen Intelligenz führt uns in Teil 4 der Megatrends zu einem kleinen Ausblick in die Beziehung zwischen Mensch und Maschine: Wie sieht z.B. die Fortentwicklung dieser Systeme in Kombination mit dem Menschen aus? Werden Menschen bald zu Cyborgs oder wandeln bereits Cyborgs unter uns?
Fußnoten
- [1] Wird im Deutschen auch Superintelligenz genannt; im Englischen strong AI oder general AI.
- [2] Weitere Details finden Sie hier: https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/ausstattung-technik-zubehoer/autonomes-fahren/grundlagen/autonomes-fahren-5-stufen/
- [3] Details zum Ausbau der dritten Start- und Landebahn hier: https://www.munich-airport.de/standort-ausbau-86430
- [4] Lesetipp: Smart Mobility: Trends, Konzepte, Best Practices für die intelligente Mobilität, Flügge 2016
- [5] Sogar schon in der Belletristik finden sich sehr gut recherchierte Werke, wie der u.A. mit dem Katastrophenschutz recherchierte Thriller “Blackout – Morgen ist es zu spät.” von Marc Elsberg, welcher einen Ausfall der Stromversorgung aufgrund einer Anfälligkeit von Smart Grid-Komponenten zum Thema hat.
- [6] eine Fahrt, bei der kein Passagier im Fahrzeug sitzt, die im Notfall steuernd eingreifen könnte.
- [7] Die Moral Machine wurde entwickelt am Massachusetts Institute of Technology (MIT).
- [8] Ergänzende Informationen im Video: Warum Asimovs Computergesetze nicht funktionieren
- [9] Einfaches Beispiel: Die Sprach-Anweisung Alexa, stelle einen Wecker für morgen um 5 Uhr früh.
- [10] https://www.springer.com/gp/about-springer/media/press-releases/corporateg/springer-nature-maschinen-generiertes-buch/16590072 – das eBook kann auf Springerlink kostenlos gelesen werden: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-030-16800-1
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